"Fahr rechts Du Arsch!" ist eine der unangenehmeren Äußerungen, die gelegentlich aus
Kraftfahrzeugen heraus gebrüllt werden.
Radfahrer beschweren sich über nicht richtig abgesenkte Gullydeckel und unebene Rinnsteine. Sie fahren in
von Autofahrern unachtsam geöffnete Autotüren oder kommen an der Kante zwischen Fahrbahn und Bankett zu
Fall.
Fragt man nach, warum Radfahrer sich in diese Gefahr begeben bekommt man als Antwort:
"Aber ich muss doch rechts fahren und darf den Verkehr nicht behindern!"
Es
gibt Straßen da ist sind Türkollisionen (Dooring) die einzig vorkommende Unfallart unter Beteiligung von
Radfahrern, obwohl dort hinreichend breite Fahrbahnen und Fahrspuren vorhanden sind.
Radfahrer scheren in Parklücken ein, werden übersehen und haben dann Schwierigkeiten sich vor dem nächsten
parkenden Fahrzeug wieder in den fließenden Verkehr einzuordnen.
Ein Grund die rechtliche Situation zu beleuchten, Handlungsempfehlungen zu geben und die Beziehung zu mancher kulturellen und individuellen Betrachtungsweise herzustellen.
Defizite in der Bewertung notwendiger und angemessener seitlicher Sicherheitsabstände sind mitursächlich für die oft falsche Bewertung der Einhaltung des Rechtsfahrgebotes. (Ausführliches PDF (ADFC FA Radverkehr, 2011))
§2 StVO ist mit "Straßenbenutzung durch Fahrzeuge" betitelt. Dort in Absatz 2 steht, in der Fassung vom 01.September 2009:
(1) Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.
(2) Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholt werden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit.
Gerade dieses möglichst ist immer wieder Gegenstand teils unangenehmer
Diskussionen der divergierende Vorstellungen von dem was möglich ist und was der Gesetzgeber für möglich
erachtet, zugrunde liegen.
Physisch ist es für einen erfahrenen, hochkonzentriert fahrenden, Radfahrer möglich einen längere Strecke
auf eine 12,5 cm breiten Randmarkierung, oder dem 5-15 cm breitem unregelmäßigen befestigten
Streifen rechts daneben zu balancieren, solange keine störenden Einflüsse wie Wind, Druck- und Sogwellen
von anderen Verkehrsteilnehmern oder wahrnehmungstechnische Ablenkungen auftauchen.
Aber ist dieses möglich so vom Gesetzgeber gemeint?
... Nein!
Der Gesetzgeber meint mit dem möglichst weit rechts, soweit rechts, das alle anderen Rechtsnormen erfüllt sind. Diese Rechtsnormen ergeben sich insbesondere aus § 1 (2) der StVO:
StVO § 1 Grundregeln
Fassung: 1970-11-16(1) [...]
(2) Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
Es ist soweit rechts zu fahren das Andere nicht gefährdet werden, unnötig behindert oder belästigt werden.
Das man sich Selbst nicht mehr als selbst gewünscht gefährdet, unnötig behindert oder belästigt, wird vom
Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt, auch wenn es in den Diskussionen gern ignoriert wird.
Mit der bestimmungsgemäßen Nutzung des öffentlichen Raumes sind regelmäßig Behinderungen anderer verbunden - dies sind notwendige Behinderungen, wie z.B. das verkehrsbedingte langsame Fahren hinter einem Radfahrer, weil es keine Möglichkeit zu ordentlichen Überholen gibt.
Korrekt wäre als Antwort auf die Frage nach dem Rechtsfahren also:
"Ich muss soweit rechts fahren, wie es mir gefahrlos
und ohne eigene Behinderungen möglich ist und darf den übrigen Verkehr nicht unnötig
behindern"
Schutzstreifen - und auch andere freigegebene Straßenteile - für Radfahrer sind, als Teil der Fahrbahn, in
ihrer Möglichkeit zum Rechtsfahren mit einzubeziehen.
Aber: aus dem Rechtsfahrgebot ergibt sich keine implizite Benutzungspflicht des Streifens. Man muss
ihn nicht befahren, sondern kann ihn ohne rechtliche Probleme verlassen, wenn die Benutzung eine
(Selbst-)Behinderung, -belästigung oder Gefährdung darstellt.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn man die seitlichen
Sicherheitsabstände nach rechts einhalten möchte, langsamere Radfahrer überholen
möchte, nach links abbiegen möchte, der Fahrbahnbelag keine so hohe
Geschwindigkeit zulässt wie auf dem Fahrbahnteil links davon, das
Streifchen zugestellt ist oder andere Sicherheitsbelange der Nutzung
entgegenstehen, z.B. Führung rechts von Rechtsabbiegern, wenn man
geradeaus will, dann ist das Rechtsfahrgebot eingehalten, auch wenn man nicht auf dem Schutzstreifen fährt.
Für die Wahl eines der Rechtsnorm angemessenen möglichst weit rechts ist es damit hilfreich sich über die möglichen auftretenden Gefährdungen und Zusammenhänge klar zu werden. Eine Übersicht:
Entsprechend dieser Auslegung haben Gerichte Entscheidungen gefällt die mit wenigen Ausnahmen
80-100 cm
zum Fahrbahnrand, Bordsteinen und Fußgängern als angemessen sehen. Zu parkenden
Fahrzeugen wird Türbreite (1 - 2 m) eingefordert, auch wenn im Falle
einer Kollision der unachtsam die Tür öffnende Kraftfahrer die Hauptschuld trägt.
Einzig bei äußerst
dichtem Verkehr kann
ein geringerer Abstand zu parkenden Autos statthaft sein. So fordert das OLG Celle zwar nur 40 cm
Abstand bei hoher Verkehrsdichte, mehr sind aber selbstverständlich zulässig und notwendig, wenn man die
Gefährdung durch unachtsam geöffnete Autotüren vermeiden möchte.
Der Öffnungsbereich von Autotüren erstreckt sich von etwa 80 cm bei schmalen Türen von viertürigen Kleinwagen bis zu etwa 2 m bei zweitürigen Coupés oder bei LKW.
Dietmar Kettler† schrieb in der 2. Ausgabe von Recht für Radfahrer (buecher.de):
Fährt der Radfahrer neben einem Parkstreifen, auf dem die Kraftfahrzeuge in Längsrichtung stehen, muss er der Lebenserfahrung nach jederzeit mit sich öffnenden Türen rechnen und darf daher weiter links fahren. Das Bundesministerium für Verkehr empfiehlt für solche Situationen ausdrücklich, mindestens einen Meter Sicherheitsabstand von den parkenden Fahrzeugen einzuhalten. Da dem Radfahrer in Einzelfällen sogar schon eine Mitschuld am Unfall durch Türöffnen angerechnet worden ist (KG,VersR 1972, 1143; vorsichtiger OLG Karlsruhe, VersR 1979,62), sollte er das auch tunlichst einhalten.
Stehen die parkenden Fahrzeuge schräg zur Fahrbahn, ist mit schnellem und unachtsamen Ausparken zu rechnen und gleichfalls ein genügender Sicherheitsabstand erlaubt...
... ich habe dich gesehen.
2020-04-25, [Ervin Peters]